Pressemeldung Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) vom 05.03.2020

Deponie-Unglück in Heßheim

- Einstellung des Ermittlungsverfahrens -

 Nachtrag zu den gemeinsamen Pressemitteilungen vom 21., 22., 23., 27.08.2018 und der Pressemitteilung vom 27.03.2019.

Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) hat kürzlich das gegen Unbekannt geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt und zur Prüfung möglicherweise in Betracht kommender Ordnungswidrigkeiten an die Struktur- und Genehmigungsdirektion Neustadt/Weinstraße abgegeben.

Trotz umfassender Ermittlungen – u.a. wurden insgesamt 11 Objekte von 8 Firmen in 4 Bundesländern durchsucht, dabei 386 Gigabyte an elektronischen Daten in Form von Emails sowie Bild- und Textdateien sichergestellt und darüber hinaus knapp 50 Zeugen vernommen – konnte keine konkrete, sorgfaltswidrige Handlung einer individualisierbaren Person festgestellt werden, aus der sich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den tödlichen Unfall am 21.08.2018 auf dem Gelände des Sonderabfallzwischenlagers der Süd-Müll GmbH & Co. KG für Abfalltransporte und Sonderabfallbeseitigung in Heßheim ergeben würde.

I. Nachweisbares Unfallgeschehen:

Zwar wurde das Unfallgeschehen selbst von keinem der im Sonderabfallzwischenlager beschäftigten Mitarbeiter unmittelbar beobachtet. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen ist jedoch folgender Ablauf nachweisbar:

Am 21.08.2018 waren ein Gruppenleiter für Chemikalienentsorgung und ein erfahrener Arbeitnehmer mit dem Umfüllen des Inhalts eines 60-Liter-Kanisters in einen teilgefüllten, 1000-Liter fassenden, Intermediate Bulk Container (kurz: IBC) befasst.

Dieser Umfüllvorgang diente der Zusammenstellung größerer Gebindeeinheiten zur finalen Entsorgung der (zwischengelagerten) Abfälle. Die endgültige Entsorgung von Säuren in Kleingebinden, zu denen in der Abfallwirtschaft auch 60-Liter-Kanister zählen, ist unüblich.

Am 21.08.2018 kam es beim Umfüllen des Inhalts des 60-Liter-Kanisters in einen teilgefüllten IBC zu einer chemischen Reaktion, bei der stark toxischer Schwefelwasserstoff - der in die Atmungskette innerhalb der Körperzellen eingreift und bereits in außerordentlich niedrigen Konzentrationen zu einem „inneren Ersticken“ führt - freigesetzt wurde. Der stark toxische Schwefelwasserstoff entwich gasförmig aus dem IBC und wurde von dem Gruppenleiter und seinem Mitarbeiter eingeatmet, wodurch beide verstarben.

Der Inhalt des 60-Liter-Kanisters war mit der UN-Nummer (Kennnummer für gefährliche Stoffe) 3264 (ätzender saurer anorganischer flüssiger Stoff) und dem Abfallschlüssel 06 01 06 (andere Säure) nach der Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) gekennzeichnet. Die chemischen Analysen des nach dem Umfüllvorgang im Kanister verbliebenen Flüssigkeitsrestes durch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin sowie durch das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz haben übereinstimmend ergeben, dass es sich bei dieser Flüssigkeit um eine stark schwefelsaure Lösung handelte. Die Kennzeichnung des am Umfüllvorgang beteiligten 60-Liter-Kanisters war demzufolge zutreffend.

Der IBC, in den die Flüssigkeit des 60-Liter-Kanisters eingefüllt wurde, war ebenfalls mit der UN-Nummer 3264 sowie dem Abfallschlüssel 06 01 06 beschriftet.

Nach dem Ergebnis der chemischen Untersuchung des Inhaltes des Containers bestand dieser – nach dem Einfüllen eines erheblichen Teils der stark schwefelsauren Lösung aus dem 60-Liter-Kanister – aus einer Flüssigkeit im pH-Wert-neutralen Bereich. Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz zog hieraus die plausible Schlussfolgerung, dass die Flüssigkeit in dem IBC vor dem Zugeben der stark schwefelsauren Lösung aus dem 60-Liter-Kanister deutlich basisch gewesen sein müsse, da sie nach dem Einfüllen dieser Flüssigkeit – wie zuvor dargelegt – pH-neutral war.

Folglich war die auf dem IBC angebrachte Kennzeichnung unzutreffend.

II. Mutmaßliche Herkunft des am 24.10.2017 im Sonderabfallzwischenlager eingegangenen und unter der Wiegescheinnummer 88510416 verwogenen Abfalls

Nach den Angaben des Wiegescheins, der auf dem unfallbeteiligten IBC angebracht ist und die Wiegescheinnummer 88510416 trägt, wurde als Inhalt des Containers am 24.10.2017 um 13:38 Uhr auf der Eingangswaage des Sonderabfallzwischenlagers in Heßheim ein Säuregemisch mit einem Gewicht von 1.431 kg brutto und dem Abfallschlüssel 06 01 06 eingewogen.

Die weiteren Ermittlungen haben ergeben, dass sich der Wiegeschein auf ein Spülwasser bezieht, welches im August/September 2017 bei der Reinigung eines Schwefeltanks angefallen ist, den die Firma ISU Chemical GmbH auf dem Gelände der Unilever Deutschland Produktions GmbH & Co OHG in Mannheim genutzt hat. Mit dieser Reinigung beauftragte die Firma ISU Chemical GmbH wiederum die Firma Lobbe Industrieservice GmbH.

Die Ermittlungen bei der ISU Chemical GmbH sowie bei der Lobbe Industrieservice GmbH haben ergeben, dass bei der Reinigung eines Schwefeltanks Spülwasser angefallen ist, das in insgesamt 14 Container eingefüllt wurde.

Da es der Firma Lobbe Industrieservice GmbH Schwierigkeiten bereitete, einen Entsorger für die 14 Container mit dem Spülwasser des Schwefeltanks zu finden, wandte sich ein Mitarbeiter der Firma Lobbe an die Firma G.V.S. Gesellschaft für die Verwertung von Sonderabfällen mbH & Co. KG, bat um ein Angebot für die Entsorgung von 14 Containern mit Schwefel-Wassergemisch und kündigte an, dass in Kürze eine Probe des Gemisches im Tanklager der G.V.S. eintreffen werde. Eine Einsichtnahme in die elektronischen Daten zu diesem Auftrag ergab, dass insgesamt vier Einzelproben angeliefert wurden, aus denen eine Mischprobe erstellt und untersucht wurde.

Die Analyse der Mischprobe ergab u.a. einen pH-Wert des Schwefel-Wassergemischs von 2. Dieser sehr saure pH-Wert hatte zur Folge, dass die 14 Container mit Spülwasser nicht durch die G.V.S. selbst zur Entsorgung in deren Tanklager angenommen werden konnten.

Ein leitender Mitarbeiter der Firma G.V.S. hat deshalb den Entsorgungsauftrag weiter vermittelt an die Firma Süd-Müll GmbH & Co. KG für Abfalltransporte und Sonderabfallbeseitigung.

Mutmaßlich unter Zugrundelegung des Analyseberichts des Betriebslabors der G.V.S. hat die Firma Süd-Müll das zu entsorgende Schwefel-Wasser als „andere Säure“ mit dem Abfallschlüssel 06 01 06 eingeordnet. Die Papiere sowie die entsprechenden Aufkleber wurden einem Berufskraftfahrer, der am 24.10.2017 die Fahrt zur Firma ISU Chemical Germany in Mannheim durchgeführt hat, mitgegeben. Er konnte sich bei seiner Zeugenvernehmung an die konkrete Fahrt vom 24.10.2017 nicht mehr erinnern. Er hat aber erklärt, dass er beim Kunden vor Ort üblicherweise die Aufkleber mit Gefahrenkennzeichen sowie die Aufkleber mit der UN-Nummer auf den Containern anbringen würde. Bei dem Aufkleber mit der UN-Nummer handelt es sich um einen „Abholungsauftrag“, der Informationen zum Abfallerzeuger, die Auftragsnummer, das Abholdatum und den Abfallschlüssel enthält.

III. Transport und Eingang des Abfalls im Sonderabfallzwischenlager am 24.10.2017

Am 24.10.2017 holte der Berufskraftfahrer der Firma Süd-Müll zwölf der vierzehn Container auf dem damaligen Betriebsgelände der Firma ISU Chemical GmbH in Mannheim ab und brachte sie ins Sonderabfallzwischenlager nach Heßheim. Zwei Container ließ er stehen, weil sie nicht transportfähig waren.

Die am 24.10.2017 von Mannheim nach Heßheim transportierten 12 Container wurden noch am selben Tag verwogen, darunter auch ein IBC, der die verfahrensgegenständliche Wiegescheinnummer 88510416 erhielt und ein Bruttogewicht von 1.431 kg aufwies.

Zu diesem Abfalleingang wurde eine schriftliche Reklamation verfasst. Dem Reklamationsbericht zufolge wurde bei der Annahme festgestellt, dass alle Container mindestens seit 3 Jahren abgelaufen waren, weil die erforderlichen Inspektionen fehlten, und nicht mehr transportiert werden durften.

Trotz dieser außergewöhnlichen Begleitumstände konnte der konkrete Ablauf beim Eingang der 12 Container mangels ausreichender Erinnerung der für die Eingangskontrollen zuständigen Zeugen nicht weiter aufgeklärt werden.

Alle zeugenschaftlich vernommenen Mitarbeiter des Sonderabfallzwischenlagers, die im Annahmebereich eingesetzt waren, haben übereinstimmend bekundet, bei der Annahme von Containern mit flüssigen Abfällen im Allgemeinen deren Inhalt mit pH-Papier getestet und auf dieser Grundlage die Übereinstimmung mit den Abfallpapieren abgeglichen zu haben. Darüber hinaus haben alle Zeugen außerdem übereinstimmend angegeben, dass beim Eingang mehrerer Container vom selben Erzeuger grundsätzlich der Inhalt jedes einzelnen Behälters mit pH-Papier getestet worden sei, selbst wenn diese denselben Abfallschlüssel gehabt hätten.

Für eine grundsätzlich sorgfältige Identitätskontrolle mit pH-Papier spricht zudem der Umstand, dass am 23.11.2017 im Rahmen der Annahmekontrolle der beiden Container, die am 24.10.2017 wegen fehlender Transportfähigkeit bei der Firma ISU Chemical GmbH zurückgelassen worden waren, festgestellt wurde, dass sie nicht das deklarierte saure Spülwasser, sondern eine Lauge beinhalteten. Um welche Lauge es sich beim Inhalt der beiden Container genau handelte, ließ sich - auch mangels weiterführenden Unterlagen - nicht ermitteln. Es ist somit zwar wahrscheinlich, aber auch nicht sicher, dass alle 12 Container am 24.10.2017 auf dem Firmengebäude in Heßheim bei der Eingangskontrolle mittels pH-Papier überprüft wurden.

IV. Weiteres Schicksal des verfahrensgegenständlichen Containers im Sonderabfallzwischenlager in Heßheim

Ausweislich des Reklamationsberichts vom 24.10.2017 waren alle Container – darunter auch der IBC mit der Wiegescheinnummer 88510416 – mindestens seit 3 Jahren abgelaufen. Der mit dem Unfall am 21.08.2018 in Zusammenhang stehende IBC, auf dem ein Wiegeschein mit der Wiegescheinnummer 88510416 angebracht war, weist als Herstellungszeitpunkt indes den Monat Juni 2017 auf. Demzufolge kann es sich bei dem IBC, in den die beiden später verstorbenen Mitarbeiter der Firma Süd-Müll am 21.08.2018 den Inhalt eines 60-Liter-Kanisters mit Säure zufüllten, nicht um das Behältnis handeln, das am 24.10.2017 verwogen und mit dem Wiegeschein 88510416 beklebt worden war.

Im Rahmen der Ermittlungen konnte nicht festgestellt werden, welche Person zu welchem Zeitpunkt nach dem Eingang der Container am 24.10.2017 die deutlich basische Flüssigkeit vor der Zugabe der Säure am 21.08.2018 in den unfallbeteiligten IBC gefüllt hat.

Brauchbare Zeugenaussagen zum Schicksal des verfahrensgegenständlichen Containers waren für den Zeitraum vom 24.10.2017 bis zum 21.08.2018 auch mangels hinreichender Erinnerungen nicht zu erlangen.

Die aus dem elektronischen Lagersystem der Firma Süd-Müll extrahierten Logprotokolle zu den einzelnen, am 24.10.2017 angelieferten, Containern gaben auch keinerlei Aufschluss darüber, wann, von wem und ob überhaupt deren Inhalte umgefüllt worden sind. Das erklärt sich dadurch, dass bei einem reinen Umfüllvorgang des Inhalts eines Containers mit Beschädigung oder abgelaufenen Prüffristen in einen unbeschädigten IBC keine gesonderte Dokumentation vorgenommen wird, weil keine Dokumentationspflicht besteht. In einem solchen Fall wurden die Aufkleber, durch die der Inhalt des Containers näher konkretisiert wird, üblicherweise vom ursprünglichen IBC entfernt und auf dem IBC, in den umgefüllt wurde, aufgebracht. Sofern die ursprünglichen Aufkleber beim Entfernen beschädigt wurden, konnten die Aufkleber über das elektronische Lagersystem reproduziert werden, ohne dass dieser Vorgang elektronisch dokumentiert wurde.

V. Sorgfaltswidrige Durchführung des todesursächlichen Umfüllvorgangs

Der tödliche Unfall am 21.08.2018 wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden, wenn der damalige Gruppenleiter beim Umfüllvorgang die erforderliche Sorgfalt beachtet und vorab eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hätte.

Sofern dieser Gruppenleiter am 21.08.2018 – wie regelmäßig zuvor – den Inhalt des Containers, in den die säurehaltigen Abfälle gefüllt werden sollten, zunächst mit pH-Papier getestet hätte, hätte er bemerkt, dass es sich entgegen der Kennzeichnung auf dem Behälter nicht um eine „andere Säure“, sondern um eine „deutlich basische Flüssigkeit“ handelte. Aufgrund dieses Testergebnisses hätte er von der Durchführung des Umfüllvorgangs abgesehen und es wäre nicht zu dem Unfallgeschehen gekommen.

Aus den Angaben der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen ergibt sich, dass die Durchführung derartiger Verträglichkeitsprüfungen durch einen Schnelltest beim Umfüllen von Säuren zur Zusammenstellung größerer Transporteinheiten regelmäßig geübte Praxis der Firma Süd-Müll im Sonderabfallzwischenlager gewesen ist.

Hinweise auf ein Organisationsverschulden von Vorgesetzten der beiden Verstorbenen haben sich nicht ergeben. Das zur Durchführung der „Verträglichkeitsprüfung“ erforderliche pH-Papier stand den Mitarbeitern ebenso zur Verfügung wie eine persönliche Schutzausrüstung einschließlich einer Atemschutzmaske, die am Unfalltag nicht verwendet wurde. Schließlich haben die Kollegen der beiden Verstorbenen aus dem Umfüllbereich des Sonderabfallzwischenlagers zeugenschaftlich geschildert, dass jene bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten immer sehr sorgfältig gehandelt hätten. Es bestand demzufolge auch kein Anlass dafür, derenTätigkeit zu kontrollieren.

 

Hubert Ströber

Leitender Oberstaatsanwalt

 

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